Es war die Großnichte des Pädagogen Friedrich Fröbel, Henriette Schrader-Breymann, die das Pestalozzi-Fröbel-Haus im Jahr 1874 gründete. Die eigenwillige Visionärin und engagierte Frauenrechtlerin wollte für den von ihr geleiteten Volkskindergarten selbst Kindergärtnerinnen ausbilden, um diesen die von ihr gewünschten Qualitätsstandards zu vermitteln. Daher gründete sie - mit Hilfe prominenter und finanzstarker Unterstützer*innen, u.a. der Kaiserin Friedrich - ein sozialpädagogisches Modellprojekt: das Pestalozzi-Fröbel-Haus. Von Beginn an fanden Ausbildung und Praxisarbeit auf demselben Gelände statt mit dem Ziel der gegenseitigen Inspiration und Bereicherung.
PFH-Direktor Prof. Ludger Pesch erklärt, wie uns die Ideen von Henriette Schrader-Breymann bis heute inspirieren können.
Henriette Schrader-Breymann benannte das Pestalozzi-Fröbel-Haus nach ihren beiden Vorbildern Johann Heinrich Pestalozzi und Friedrich Fröbel. Welche Inspirationen können uns diese beiden Pädagogen geben?
Prof. Ludger Pesch: Pestalozzi sehe ich als einen Verfechter der Bedeutung der Liebe in der Pädagogik. Als einer der ersten in der europäischen Aufklärung setzt er die Liebe der Vernunft voran. In der Liebe sieht er das entscheidende Moment der menschlichen Entwicklung. Nicht zufällig setzte sich Pestalozzi auch für die Bildung der Armen in der Gesellschaft ein. Trotz seiner auf mathematischen Überlegungen fußenden Didaktik betont er, dass sich nicht die Familie (bei Pestalozzi: "Wohnstube") der Schule, sondern sich die Schule den Beziehungsformen der Wohnstube anzugleichen habe - eine noch heute revolutionäre Idee.
Fröbel als Pestalozzis Schüler entwickelte dessen flache Lernmaterialien weiter zu dreidimensionalen Spielgaben. Damit schuf er auch für das Kleinkind im Wortsinne begreifbare Spielzeuge. Die er aber nicht nur als Beschäftigungsgegenstände, sondern auch als Medien der Welterkennung deutete: Im Wort "Ball" steckt das Wort "All" - und die Form des Balls entspricht unserer Wahrnehmung des Universums.
Warum ist die pädagogische Konzeption Henriette Schrader-Breymanns bis heute aktuell?
Prof. Ludger Pesch: Wie ihre pädagogischen Vorbilder Pestalozzi und Fröbel darf man Henriette Schrader-Breymann eine Klassikerin der Pädagogik nennen. Das bedeutet, dass diese Personen Ideen formuliert haben, die trotz aller zeitgebundenen Erscheinungsformen Gültigkeit haben bis in die heutige Zeit. Für Henriette greife ich zwei heraus: die Größe der Kindergruppe und die Bedeutung des Alltags. Henriette "erfand" die Kindergruppe mit einer Anzahl von 15 Kindern: bis dahin war die Kinderbetreuung, sofern sie nicht in Adelshäusern als Privatunterricht stattfand, in wesentlich größeren Einheiten üblich. Die Zahl 15 ist auch noch heute oft ein Strukturierungselement in Kitas - und es ist bezeichnend, dass die Kleingruppenforschung diese Zahl als oberes Maß angibt, wenn eine allseitige Kommunikation möglich sein soll.
Die Spielgaben Fröbels setzte Henriette in ein neues Licht, wenn sie die Bedeutungsgebung aus Fröbels natur-philosophischer Höhe herunterholte in die Sphäre des Alltags. Nämlich als Instrumente zum Einüben in praktische Fertigkeiten, die sich dann auch im Alltag ihres Kindergartens als reale, alltägliche Tätigkeiten wiederfanden - und zwar unter Einbezug (!) der Kinder: Kochen, Backen, Tiere pflegen, Bauen usw.
Was waren die Ziele von Henriette Schrader-Breymann?
Prof. Ludger Pesch: Henriette setzte das Werk ihres Onkels Fröbel fort, der einen Kindergarten als Bildungseinrichtung für alle Kinder des Volkes gefordert hatte und erleben musste, das aufgrund einer Namensverwechslung "sein" Kindergarten in Preußen als Teil eines "sozialistischen Systems" zeitweise verboten wurde. Zugleich erweiterte sie als Mitglied der bürgerlichen Frauenbewegung dieses pädagogisch-demokratische Motiv mit dem Anliegen, Frauen durch eine berufliche Ausbildung gesellschaftliche Anerkennung und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu verschaffen. Beide Motive führten 1874 zur Gründung des Pestalozzi-Fröbel-Hauses. Damit wurde das Werk ihrer Vorgänger institutionell umgesetzt und Liebe, Bildung und Emanzipation als Ziele einer Organisation manifestiert. Methodologisch war das PFH von vorneherein als Ausbildungs-Praxis-Verbund konzipiert - ein auch heute nicht einfaches Unterfangen.
Was ist Ihre Vision für das Pestalozzi-Fröbel-Haus?
Prof. Ludger Pesch: Ich bin mir mit Demut der Riesinnen und Riesen bewusst, auf deren Schultern ich und wir alle stehen. Als Direktor des PFH sehe ich nach innen wie außen die ständige Aufgabe, die Einheit von Inhalt und Form anzustreben: Wofür wir stehen (Liebe, Bildung und Emanzipation) sollte trotz aller möglichen Fehlversuche (ohne die geht es nur bei Lichtgestalten) immer wieder erlebbar und mitgestaltbar sein.
Selbstreflexivität ist mir als fachliche Eigenschaft am wichtigsten. Das schließt die Verhandelbarkeit der vielen möglichen Umsetzungswege ein. Dass wir damit in den letzten Jahren vorangekommen sind, ist meines Erachtens sowohl spürbar wie auch an mehreren Entwicklungen abzulesen - ich nenne als Beispiele das Leitbild, das Mitarbeiter*innen-Gespräch, das Beschwerde- und Gesundheitsmanagement, die Mitarbeiter*innen-Befragung und auch die Sommerfete.
Vision als Zukunft: Das PFH sollte wirtschaftlich unabhängiger werden von der Gewährung staatlicher Zuschüsse, sozialunternehmerischer handeln und sich von unsinnigen bürokratischen Hemmnissen befreien können, soweit sie aus den Sphären der organisierten Verantwortungslosigkeit kommen und nicht demokratisch begründet werden. Das PFH sollte sich weiterhin als lernfähige Bildungseinrichtung für die ganze Stadtgesellschaft verstehen und als aktives Mitglied der demokratisch gesinnten Zivilgesellschaft.
Im Interview mit:
Übrigens!
In unserem hauseigenen Archiv bewahren wir die revolutionäre Geschichte des PFH Berlin auf. Darunter sind viele Fotografien und weitere spannende Zeitdokumente.