Nachdem wir im Mai die Rolle des Pestalozzi-Fröbel-Hauses im Zusammenhang mit der Kolonialpolitik betrachtet haben, ging es in der Veranstaltung am 5. Juni um das PFH in der Zeit Nationalsozialismus. Zwischen 1933 und 1945 herrschte in Deutschland das NS-Regime als faschistischer Führerstaat, der sich unmittelbar nach der Machtübergabe alle Systeme unterwarf. Zentrale Fragen der Veranstaltung waren: Mit welchen Instrumenten und Absichten agierte der NS-Staat in der Bildungspolitik? Welche Konsequenzen ergaben sich für die jüdischen Mitarbeitenden und Studierenden des PFH? Welche Rolle spielten dabei die Verantwortlichen des PFH? Und was können wir daraus lernen?
Nach der Begrüßung von PFH-Direktor Prof. Ludger Pesch gab Historiker Ralf Oberndörfer einen Einblick in die Rahmenbedingungen der Berliner Bildungslandschaft (Schwerpunkt Kindergärten) zur damaligen Zeit und analysierte Reaktionen von Verwaltung und Trägern auf die neuen Vorgaben nach 1933. Dabei nannte er Beispiele für das unterschiedliche Verhalten einzelner Entscheidungsträger*innen, um deutlich zu machen wie Handlungsspielräume auf verschiedene Weise genutzt werden konnten. Er ordnete sie fünf Kategorien zu: „sich dumm stellen“, „eigene Regeln entwickeln“, „Dienst nach Vorschrift“, „Eifer“ und „freie Radikalisierung“.
Thematisiert wurde weiterhin die Studie von Dr. Verena Buser, die Ihre Teilnahme aus persönlichen Gründen leider kurzfristig absagen musste. In der Studie mit dem Titel „Das Pestalozzi-Fröbel-Haus (PFH) in Berlin-Schöneberg 1933 bis 1945“ analysiert sie die Rolle der Einrichtung während der Nazi-Herrschaft. Die gesamte Studie wird zeitnah auf unserer Website zu finden sein. Eine Zusammenfassung ihrer Thesen durch PFH-Direktor Ludger Pesch finden Sie in diesem PDF:
Diskutiert wurden die Erkenntnisse anschließend auf dem Podium mit Historiker Ralf Oberndörfer, der Leiterin des PFH-Archivs Sabine Sander und Gert Schmitt (ehrenamtlicher Mitarbeiter des PFH-Archivs), die das Bild mit Zeitzeugenberichten und Daten aus PFH-internen Akten ergänzten.
Zwischen den Beiträgen der Referent*innen wurde eine Grußbotschaft der Familie Barnea aus den USA zum 150-jährigen Jubiläum des PFH eingespielt.
Zum Hintergrund:
Ab 1933 wurden die sog. nicht-arischen Mitarbeiter*innen und Schülerinnen des PFH ausgeschlossen. Sie wurden diskriminiert, verfolgt und ermordet, sofern sie sich dem nicht durch Flucht entziehen konnten. Eine der letzten Flüchtlinge war Miriam Marianne Burstein (geb. Bach), die ihren Abschluss am PFH 1929 machte. Danach arbeitete sie in verschiedenen jüdischen Einrichtungen. Ihre Eltern Nathan und Gertrud sowie ihr Bruder Manfred wurden 1944 in Theresienstadt und Auschwitz ermordet.
Marianne Bach konnte 1940 noch Deutschland verlassen und erreichte mit großem Glück Israel, wo sie in den folgenden Jahrzehnten als Kindergärtnerin arbeitete. 1996 verfasste sie einen Lebensbericht für Ihre Familie, wodurch wir einiges aus ihrem Leben kennenlernen durften.
Für die Familie Bach wurden 2022 in der Wiesbadener Straße Stolpersteine verlegt, zu der Nachfahren anreisten, die teils in Israel, teils in den USA und auch anderen Ländern leben und weiterhin in Kontakt zueinander sind.
Wir bedanken uns bei Herrn Oberndörfer für den spannenden Input, bei Familie Barnea für die Videobotschaft und bei allen Teilnehmenden für die konstruktive Diskussion!
Mehr zu dem Thema: Führungen durch das Bayerische Viertel – Tour durch die damalige „Jüdische Schweiz“ am 17. und 21. Juni 2024. Für den 21. Juni sind noch Plätze frei! Wir bitten um Anmeldung.
Gefördert durch
Fotos: Johanna Mirea