Beziehungen am Arbeitsplatz
Einige Überlegungen zu einer Beziehungsethik im beruflichen Bereich
Wir verbringen viel Zeit am Arbeitsplatz. Wir arbeiten nicht nur zusammen, sondern verbringen Pausen miteinander, feiern gemeinsam oder gehen auch mal nach der Arbeit zusammen etwas trinken. Gute (Arbeits-)Beziehungen und eine freundliche Kommunikation sind wichtig, sowohl für die Stimmung am Arbeitsplatz als auch für die Leistung, die wir erbringen. Emotional positiv gestimmte Menschen haben eher Lust auf gute Leistungen. Aus guten Arbeitsbeziehungen können sich Freundschaften entwickeln, man teilt jetzt einen Teil der Freizeit miteinander. Erotik kommt dann ins Spiel, wenn die Beteiligten auch eine sinnliche Anziehung zueinander verspüren. Und dann ist der Weg zum Flirt, zur Affäre und gar zur Partnerschaft offen… Dass dies nicht so selten vorkommt, belegen Studien: Jeder dritte bis fünfte Mensch soll sich schon mindestens einmal in eine*n Kolleg*in verliebt haben.
Dürfen erotische Beziehungen sein?
Der Beziehungsstatus zwischen Menschen gehört grundsätzlich zum gesetzlich geschützten Privatbereich, hier kann niemand Vorschriften machen. In Deutschland ist es deshalb aus guten Gründen verboten, dass der Arbeitgeber den privaten Beziehungsstatus von Mitarbeiter*innen überprüft oder gar reguliert, indem er bestimmte Beziehungskonstellationen untersagt. Amerikanische Gepflogenheiten gelten hierzulande nicht. Beziehungen zwischen Betriebsangehörigen dürfen sein- und das ist auch gut so!
Aber es gibt klare „no-gos“: Dazu gehört die private Kommunikation (E-Mail, SMS oder Brief) innerhalb der Arbeitszeit und/oder über Medien, die der Arbeitgeber zur Verfügung stellt. Der Arbeitgeber (das ist in unserem Fall letztlich die Gesellschaft) hat Anspruch auf die volle Arbeitsleistung während der bezahlten Dienstzeit. Aus demselben Grund sind auch längere intime Handlungen während der Arbeitszeit nicht gestattet. Und der Machtmissbrauch eines hierarchisch höhergestellten Partners in der Beziehung ist selbstverständlich nicht nur verwerflich, sondern wird auch gesetzlich zu verfolgen sein.
Wann wird es heikel?
Heikel sind erotische Beziehungen regelmäßig dann, wenn sie zwischen Personen bestehen, die in einer hierarchischen (Arbeits-)Beziehung stehen; d.h. zum Beispiel dann, wenn eine beteiligte Person anweisungsbefugt ist gegenüber der anderen Person. Denn hier muss man nicht mal mit möglichem Machtmissbrauch argumentieren. Solche Beziehungen sind immer anfällig für Störungen, denn Partnerschaft verlangt nach Gleichrangigkeit, die aber keine Entsprechung im beruflichen Bereich findet. Noch gravierender und schwerer absehbar ist die Wirkung auf andere Kolleg*innen: Es könnte Misstrauen darüber entstehen, ob mein*e Kolleg*in auch weiterhin Vertraulichkeit in unseren Angelegenheiten gegenüber dem/der Vorgesetzten einhält, mit dem sie/er ja liiert ist. Ist die höhergestellte Person noch un- oder allparteilich, wenn sie mit eine*r Mitarbeiter*in verbandelt ist? Und auch die Gefahr von Missgunst ist nicht von der Hand zu weisen.
Wie professionell umgehen mit privaten Beziehungen zwischen Kolleg*innen?
Nochmals: Private Beziehungen sind privat (lat: abgesondert) und dürfen es auch bleiben. Das gilt selbstverständlich auch für private Beziehungen zwischen Arbeitskolleg*innen, unabhängig von deren Stellung im Betrieb. Das ist vor allem von „unbeteiligten Dritten“ zu beachten: Bloßer Klatsch und Tratsch über vermeintliche oder tatsächliche Beziehungen von Betriebsangehörigen sind unprofessionell und ethisch fragwürdig. Das Gleiche gilt natürlich auch für das Ausplaudern von privaten Informationen über den Partner. Es wirft ein schlechtes Licht auf die Arbeitsatmosphäre, wenn hinter vorgehaltener Hand über Dritte abschätzig oder indiskret geredet wird. (Das gilt für alle Fälle!)
Dennoch bleibt es in der Verantwortung der unmittelbar Beteiligten, die möglichen oder tatsächlichen Auswirkungen auf die Arbeit und auf Dritte im Betrieb zu reflektieren. Wenn aus dem Flirt eine (festere) Beziehung geworden ist, sollte es nicht schwerfallen, dies auch innerbetrieblich im eigenen Team bzw. dem davon betroffenen Kreis kundzutun. Spekulationen und Flurfunk werden damit vorgebeugt.
Mögliche Auswirkungen können sich auf die eigenen Arbeitsleistungen und -strukturen beziehen. Auch aus diesen Gründen ist es professionell, ein privates Verhältnis zu veröffentlichen. Vor allem dann, wenn sie sich nicht sicher sind über dessen Auswirkungen. Kolleg*innen und Vorgesetzte können mit ihnen ins Gespräch gehen, ob es möglicherweise Interessenskonflikte geben könnte, die die Arbeit behindern. Vielleicht ist dann eine gemeinsam vereinbarte, strukturelle Veränderung hilfreich, wie eine Neuverteilung der Aufgaben oder eine Versetzung in einen anderen Bereich.
Eine erfüllende Beziehung wird meistens ihr Wohlgefühl und damit ihre Arbeitslust stärken. Wenn aber dauerhafte oder heftige Krisen in der privaten Beziehung zu krisenhaften Arbeitsbeziehungen führen, ist es höchste Zeit, dies offen anzusprechen: sowohl von Seiten der beteiligten Konfliktpartner als auch von einer dritten Person, sobald sie davon erfährt. Denn konflikthafte Paarbeziehungen dürfen sich nicht destruktiv in den Arbeitsbereich ausdehnen. Als Vorgesetzte*r sollten sie hier ein Personalgespräch führen. Als mittelbar betroffene*r Kolleg*in können sie ebenfalls das Gespräch suchen (mit den Beteiligten, mit dem/der Vorgesetzten) oder den Beschwerdeweg nutzen.
Wie fast immer zeigt sich, dass es um ein Ausbalancieren geht, in diesem Fall von Offenheit und Diskretion. Dabei sind Offenheit und Diskretion keine Gegensätze, sondern sich ergänzende Qualitäten.
Prof. Ludger Pesch, Direktor des Pestalozzi-Fröbel-Hauses