Brief an Hedwig Heyl
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Berlin, der 10.11.2023
Gnädige Frau Hedwig Heyl,
im Namen der Studierenden und Schüler*innenschaft möchten wir unsere Hochachtung für Ihre Beteiligung in der Frauenbewegung und Ihre natürliche Begabung für Ordnung ausdrücken. Wir sind beeindruckt von Ihrem Engagement und die damit verbundenen Privilegien für die damalige deutsche Frau und Ihrer Mitwirkung an Organisationen, Clubs und Vereinen. Sie setzten sich zusammen mit anderen Frauen für ein wichtiges Ziel ein, jedoch möchten wir Sie dafür auch scharf kritisieren, weil sie sich trotz allem fortschrittlichen Denkens, nur auf Ihr Volk und Ihre Klasse beschränkten.
Im Rahmen einer Projektwoche beschäftigten wir uns mit Ihrem Schaffen und dem Zusammenhang von Kolonisation und Sozialer Arbeit und lasen folgende Texte:
• Hedwig Heyl (1898): Rede gehalten nach der Prüfung und zur Entlassung der hauswirtschaftlichen Lehrerinnen. In: P.F.H. Vereins-Zeitung Nr. 47, 24. September 1898, S.12-14
• Hedwig Heyl (1912): Hauswirtschaftliche Bildung und Volkskultur. In: P.F.H II Zeitung, Probenummer, Juli 1912, S. 6-10
• Hedwig Heyl (1912): Die Pfadfinderinnen in den Kolonien, In: Das Pfadfinderbuch für junge weibliche Jugend, hrsg. V. Elise v. Hopffgarten. Leipzig: Verlag von Otto Spamer, Pfadfinderverlag, S. 204-216
Für uns kristallisierten sich einige thematische Schwerpunkte in Ihrer Rede heraus, die wir hiermit zusammenfassen möchten.
Zunächst führten Sie aus, dass die Frau eine natürliche Begabung für das Hauswesen besitzt, sich allerdings dafür eine Erziehung wünscht. In einem späteren Absatz gehen Sie auf die Ordnung ein. Diese stellt den höchsten Schmuck an der Frau und dem Haus dar und ist mit einem Pflichtgefühl verbunden. Zudem setzten Sie Ordnung mit System gleich, welches die Frau verinnerlichen muss.
Dem zweiten Text, in dem sie überwiegend über Hauswirtschaft sprachen, entnahmen wir, dass hauswirtschaftliche Bildung und Volkskultur für Sie im engen Zusammenhang stehen. Sie schrieben davon, dass hauswirtschaftliche Bildung und Volkskultur die „zwei großen Faktoren des Lebens“ sind, jedoch immer mehr Frauen zu „Analphabeten der Hauswirtschaft“ werden. Sie drückten aus, dass hauswirtschaftliche Bildung eine Notwendigkeit für das Volk darstelle und mit Volkskultur gleichgesetzt wurde. Weiterhin betonten Sie die Bedeutung der Verbindung von Theorie und Praxis und forderten, dass selbst Männer eine „hausväterliche Ausbildung“ erfahren sollten. Überdies war Hauswirtschaft laut Ihnen von essentieller Relevanz für die erfolgreiche deutsche Kolonialisierung. Hauswirtschaft verbanden Sie mit Hygiene. Ihnen war, laut unserem Verständnis, wichtig, dass die deutschen Frauen die in die Kolonien gingen, eine gute hauswirtschaftliche Erziehung genossen, damit diese zu Hygiene in den Siedlungen beitrug, um Gesundheit und Leben zu schützen. Ebenfalls verbanden Sie Hygiene mit Sauberkeit. In Ihrem Text wurde uns deutlich, dass Sie der Ansicht waren, dass Sauber- und Reinlichkeit deutsche Eigenschaften waren und deshalb den Auftrag hatten, diese Ansicht auch in die Kolonien zu exportieren.
Darüber hinaus thematisierten Sie in Ihrem Leitfaden für Pfadfinderinnen in den Kolonien, dass die deutsche Frau maßgeblich für Sitte und Ordnung in den Kolonien zuständig war und die Aufgabe hatte diese wahrhaftig deutsch zu machen. Dieses Vorhaben sollte durch die aktive Vorbildfunktion und hauswirtschaftliche Kompetenzen der weißen Frau umgesetzt werden. Hedwig, Ihrer Auffassung nach sind die Grundpfeiler des „Zivilisierungsprozesses“ der indigenen Bevölkerung in der Christianisierung, Schulbildung, Sittlichkeitserziehung und Leben nach der vorbildlichen deutschen Familie zu sehen. Dabei definierten Sie eine deutsche Familie als weiß, weshalb Sie deutsche Frauen in den Kolonien als notwendig empfanden.
Aus Ihren Texten ergab sich der folgende Fragenkatalog für uns:
• Warum ist die deutsche weiße Frau so wichtig in den Kolonien, wenn hauswirtschaftliche Bildung für alle sein soll?
• Wieso möchten Sie, dass ausschließlich weiße Kinder gezeugt werden?
• Was verstehen Sie unter Sittlichkeit und kann man Sittlichkeit in unterschiedlichen Kontexten anders verstehen?
• Woher kommen Ihre Erkenntnisse, dass die indigene Bevölkerung immer lügt?
• Warum waren Ihnen deutsche Kolonien so wichtig?
• Warum hielten Sie deutsch sein für wichtig und besser?
• Waren Sie selbst im Ausland oder haben eine Kolonie besucht?
• Haben Sie die indigene Bevölkerung der Kolonien selbst kennengelernt?
• Wie können Mädchen Analphabeten der Hauswirtschaft werden, wenn sie eine natürliche Begabung besitzen?
• Warum glauben Sie Frauen hätten eine natürliche Begabung für die Hauswirtschaft?
• Welche natürliche Begabung hat laut Ihnen der Mann?
• Warum glauben Sie, dass Menschen zivilisiert werden müssen?
• Warum denken Sie, dass diese Menschen das wollen?
• Haben Sie ein übergeordnetes Lebensziel?
Wie sie anhand unserer Fragen merken, stehen wir einigen Ihrer Aussagen und Ihrer Rolle im deutschen Kolonialismus kritisch gegenüber. Nichtsdestotrotz erkennen wir Ihre Errungenschaften hinsichtlich der Emanzipation der deutschen Frau und ihre Hilfen für Kinder und Jugendliche der Berliner Arbeiterklasse an.
Wir sehen einer Beantwortung unserer Fragen mit großem Interesse entgegen und hoffen weiterhin
in einen Austausch gehen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Charly Fynn Schüler, Felix Ruhl, Lucia-Celine Howaldt, Norea Jahn
Im Namen der Studierenden und Schüler*innen des Pestalozzi-Fröbel-Hauses
Kurzbiografie Hedwig Heyl
Hedwig Heyl (geb. Crüsemann)
Geboren: 03. Mai 1850 in Bremen
Gestorben: 23. Januar 1934 in Berlin
Hedwig Heyl wurde in einer großbürgerliche Reederei Familie geboren und heiratete 1869 Georg Heyl, dieser war Chemiefabrikant.
Sie war Mitglied der Frauenbewegung und ihre Aufgabe war die Professionalisierung der Hauswirtschaft. Sie hatte ebenfalls eine bedeutende Rolle im Kolonialismus. Einer ihrer bedeutsamsten Lebensaufgaben war das Aussuchen von Frauen, die in die Kolonien zogen, um Ehefrauen der Kolonialisten zu werden. Dabei suchte sie stets nach “geeignetem Mädchenmaterial”, um diese in eine Siedlung zu schicken. Hedwig Heyl war begeisterte Anhängerin Friedrich Fröbels und bezog Kindererziehung und -pflege bei der Hauswirtschaft mit ein. Sie war Mitbegründerin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, welches im Jahr 1884 durch ihre Hauswirtschaft- und Kochschule „Hedwig Heyl“ erweitert wurde.
Hedwig Heyl übernahm Repräsentationsaufgaben in der Frauenbewegung unter anderem auch beim internationalen Frauenkongress 1904 und der Ausstellung „Die Frau in Haus und Beruf“ im Jahr 1912. Der große Erfolg der Ausstellung ging im Wesentlichen auf das Organisationstalent von ihr zurück. Ihr Organisationstalent machte sich ebenfalls bei ihrer Teilnahme in zahlreichen Clubs und Vereinen bemerkbar.
Zitat:
"Die Tätigkeit der Frauen in der Politik sollte dem gesunden Menschenverstand zum Sieg verhelfen, dazu ist aber die Kenntnis der Meinungen aller Parteien, Religionen und Stände notwendig, deren Würdigungen allein Brücken bauen kann und objektives Urteil ermöglicht.“ Hedwig Heyl
In folgenden Vereinen und Clubs war sie ein maßgebliches Mitglied oder (Mit-)Begründerin:
Hauswirtschafts- und Kochschule
Jugendheim
Verband deutscher Hausfrauenvereine
Verein für Volkserziehung und Volkshygiene
Erste Gartenbauschule für Frauen
Jugendgarten des Bundes deutscher Pfadfinderinnen
Blumenbindeschule
Hauspflegeverein
Internationaler Frauenkongress
Deutscher Lyceumclub
Die Ausstellung „die Frau in Haus und Beruf“
Frauenverbund der deutschen Kolonialgesellschaft
Kriegsarbeit des Frauenverbundes der deutschen Kolonialgesellschaft
Die Cecilienhilfe
Die Massenspeisung in Berlin während des Kriegs
Bürgerausschuss Groß-Berlin
Stadtverordnete
Schriftstellerische und journalistische Tätigkeiten
Deutsche Frauenbewegung
Soziale Arbeiterin
Begriffserklärungen von Charly Fynn Schüler, Felix Ruhl, Lucia-Celine Howaldt und Norea Jahn für ein besseres Textverständnis
Download: Begriffserklärungen Hedwig Heyl lädt ein
Mehr zum Projekt "Soziale Arbeit als koloniales Wissensarchiv?" finden Sie hier.